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Abschiedsinterview von Botschafter Manfred Huterer vom 4.07.2023

04.07.2023 - Artikel

Herr Botschafter, nach vier Jahren in Belarus verlassen Sie das Land. Welche Bilanz Ihres Wirkens in Belarus ziehen Sie?

Als Diplomat habe ich in Belarus alle Höhen und Tiefen der deutsch-belarussischen Beziehungen erlebt. Als ich im Sommer 2019 als Botschafter nach Belarus kam, befanden sich unsere bilateralen Beziehungen in einem klaren Aufwärtstrend. Die zwischenmenschlichen, wirtschaftlichen, im Ansatz auch die politischen Kontakte zwischen Deutschland und Belarus wurden beständig dichter.

Ich erinnere an den Besuch von Bundespräsident Steinmeier in Belarus 2018 und den Besuch des belarussischen Außenministers Makej in Berlin im Oktober 2019.

Akteure der Zivilgesellschaft und Unternehmen arbeiteten über Staatsgrenzen hinweg eng und für alle gewinnbringend zusammen.

Dieser Aufwärtstrend hat sich infolge der Massenrepressionen der belarussischen Behörden gegen die eigene Bevölkerung seit 2020 und der tiefen Verwicklung der belarussischen Führung in Russlands völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine leider in sein Gegenteil verkehrt. Wir erleben heute einen Tiefpunkt in den deutsch-belarussischen Beziehungen.

In diesen äußerst schwierigen Zeiten war es mir wichtig, im deutsch-belarussischen Verhältnis zu erhalten, was sich erhalten ließ. Mich schmerzt sehr, dass das Goethe-Institut und der DAAD ihre Tätigkeit in Belarus einstellen mussten, und dass viele belarussische Organisationen, mit denen wir jahrelang einen für alle nutzbringenden Austausch pflegten, liquidiert worden sind.

Es ist bislang gelungen, noch weiteres schweres Unheil von den deutsch-belarussischen Beziehungen abzuwenden. Auch dank der diplomatischen Präsenz Deutschlands in Belarus bleibt Austausch möglich, in vielerlei Form. Deutsche und Belarussen sind sich heute so nahe wie vielleicht nie zuvor in der Geschichte, trotz der gegenwärtig tiefen politischen Kluft. Auch arbeiten viele deutsche Unternehmen noch in Belarus.

Es war mir ein auch sehr persönliches Anliegen, das historische Geschenk der Versöhnung zwischen Deutschen und Belarussen zu erhalten und zu gestalten. Wir Deutsche werden das Andenken an die Opfer der barbarischen und unverzeihlichen Verbrechen Nazi-Deutschlands in Belarus zu allen Zeiten ehren – in Khatyn, Malij Trostenez, Krasnij Bereg, Osaritschi oder der Minsker Jama. Diese und andere Gedenkorte habe ich sehr häufig besucht.

Von vielen engen Partnern der Deutschen Botschaft Minsk konnten Sie sich vor Ihrer Abreise nicht persönlich verabschieden. Sie sind in Belarus zu Unrecht in Haft oder sahen sich genötigt, das Land zu verlassen. Welche Abschiedsworte möchten Sie an diese Menschen auf diesem Weg richten?

Deutschland wird die politischen Gefangenen in Belarus nicht vergessen. Eineinhalb Tausend Belarussinnen und Belarussen sind heute zu Unrecht und nur deshalb im Gefängnis, weil sie friedlich für ihre Rechte, für die Einhaltung universeller Werte eingetreten sind. Die deutsche Regierung und die EU fordern die Freilassung aller politischen Gefangenen in Belarus. Nur ein auf Versöhnung ausgerichteter Dialog zwischen Staatsmacht und Zivilgesellschaft, der in freie und faire Wahlen mündet, könnte einen Weg nach vorne weisen. Ein solcher Schritt würde auch die Souveränität von Belarus nach innen wie nach außen stärken.

Mich schmerzt, dass ich mich von so vielen Partnerinnen und Partnern der Deutschen Botschaft Minsk nicht persönlich, von Angesicht zu Angesicht, verabschieden konnte. Stellvertretend für die viel zu vielen zu Unrecht Inhaftierten möchte ich Maria Kolesnikova und Ales Beljatzki nennen. Maria Kolesnikova hat sich immer für Dialog und gewaltlose Methoden eingesetzt. Es ist wesentlich ihr zu verdanken, dass die Proteste im Sommer 2020 friedlich verlaufen sind. Die Deutsche Botschaft Minsk pflegte in ihrer Menschenrechtsarbeit über viele Jahre enge Kontakte zu Beljatzki und Viasna. Ales Beljatzkis jahrzehntelanger Einsatz für Demokratie und Menschenrechte in Belarus ist vor wenigen Monaten mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Genau für diesen Einsatz für Demokratie und Menschenrechte aber ist Ales Beljatzki in Belarus zu Unrecht im Gefängnis. Maria Kolesnikova und Ales Beljatzki haben aus patriotischen Motiven gehandelt.

Seit dem 24. Februar 2022 führt Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Russland hat ihn auch von belarussischem Territorium aus begonnen. Die belarussische Führung unterstützt den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf vielfältige Weise. Wie haben Sie dieses Geschehen in Minsk erlebt und welche Perspektiven für ein Ende dieses Kriegs sehen Sie?

Mich erschüttert zutiefst das Leid der Menschen in der Ukraine unter Russlands nicht zu rechtfertigendem, völkerrechtswidrigem, brutalem Angriffskrieg. Jeden Tag sterben in der Ukraine unschuldige Menschen, werden Mütter zu Witwen und Kinder zu Waisen. Jeden Tag trägt Russland unermessliches Leid in die Ukraine hinein.

Russlands von illusionärem und rückwärtsgewandtem Imperialismus getriebener Angriffskrieg ist ein Bruch der Charta der Vereinten Nationen. Die Ukraine verteidigt ihre Souveränität und ihre territoriale Integrität in Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen. Leider hat sich die belarussische Führung in Russlands völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verstrickt.

Deutschland und seine internationalen Partner unterstützen die Ukraine, damit sie ihre Souveränität und territoriale Integrität gegen den Aggressor Russland verteidigen kann. Deutschland hat deutlich gemacht, dass es diese Unterstützung der Selbstverteidigung der Ukraine fortsetzen wird, so lange es nötig ist. Es kann eben keine Sicherheit in Europa geben, wenn die Sicherheit und Unabhängigkeit der Ukraine bedroht ist. Die Ukraine gehört zu Europa und ihre Zukunft liegt in der Europäischen Union.

Dass Russland unter Bruch des Völkerrechts seinen Nachbarn Ukraine überfallen hat, haben gerade auch diejenigen als schweren Schlag empfunden, die der Auffassung waren, dass Russland wie jeder andere Staat legitime Sicherheitsinteressen hat und diese berücksichtigt werden müssen. Russland hat jedoch einen Angriffskrieg mit dem Ziel der Vernichtung der UKR begonnen – dieser Angriffskrieg endet sofort, wenn Russland seine Truppen aus der Ukraine zurückzieht. Und dies muss jetzt geschehen. Das würde einen Weg zu Verhandlungen öffnen, die Frieden und Sicherheit auf dem europäischen Kontinent dauerhaft wiederherstellen und sichern könnten.

Dieser Krieg kennt bisher nur Verlierer: Russland verliert, die Ukraine verliert, Belarus verliert, Europa und die ganze Welt verliert. Wichtig wäre es, in der jetzigen Situation, in der es politisch so schwierig ist, aus der Logik militärischer Konfrontation auszusteigen, eine Vision zu entwickeln, wie der Krieg beendet und Sicherheit auf dem europäischen Kontinent wiederhergestellt werden kann. Das setzt aber voraus, dass Russland, das diesen Krieg begonnen hat, diesen Krieg auch jetzt beendet und seine Truppen zurückzieht. Und so eine Vision wäre, glaube ich, sehr, sehr wichtig.

Das wäre jetzt auch Aufgabe von Think-Tanks und von Experten, die die Spezifika dieser Region kennen. Wir brauchen überzeugende Konzepte in den Schubläden für die Zeit, wenn dieser Krieg dann hoffentlich wirklich beendet wird und die Waffen schweigen. Belarus könnte eine sehr wichtige Rolle für eine europäische Friedensordnung, ja für den Weltfrieden insgesamt spielen – das ergibt sich schon allein aus der geographischen Lage von Belarus im Zentrum Europas.

Welche Eindrücke nehmen Sie aus Ihren Begegnungen mit Belarussinnen und Belarussen in den vergangenen vier Jahren mit nach Deutschland?

Die allerallerbesten Eindrücke. In den gut 30 Jahren meiner Laufbahn als Diplomat habe ich mich nirgends so willkommen und so wohl gefühlt wie in Belarus und unter Belarussinnen und Belarussen. Meine Begegnungen mit den so offenen, herzlichen und großmütigen Menschen von Belarus werden mir mein Leben lang in wärmster Erinnerung bleiben.

Eine Erinnerung will ich teilen, sie ist für mich ganz besonders wichtig, weil ich in der Jugendarbeit der katholischen Kirche aufgewachsen bin: Die Wallfahrt zur Basilika Mariä Himmelfahrt nach Budslau an einem wunderschönen Sommertag im vergangenen Jahr wird mir immer unvergesslich bleiben.

Wenn mich trotz der gegenwärtig tiefen politischen Kluft eines die Hoffnung auf eine bessere Zukunft der deutsch-belarussischen Beziehungen und der Beziehungen von Belarus zum Rest Europas wahren lässt, dann sind es die Menschen von Belarus. Belarus liegt nicht nur im Herzen Europas, seine Menschen denken und fühlen europäisch. Mit einem Wort: Die Menschen von Belarus empfinde als besten Teil Europas.

Wie geht es nach Ihrer Abreise weiter mit der diplomatischen Präsenz Deutschlands in Belarus?

Nach vier Jahren in Minsk kehre ich nach Deutschland zurück, um wieder bei meiner Familie zu sein. Meine Frau und mein Sohn waren mit mir nach Minsk gekommen und haben lange und sehr gerne hier gelebt. Im vergangenen Jahr sind sie nach Berlin zurückgekehrt, damit mein Sohn sich dort besser auf den deutschen Schulabschluss vorbereiten konnte.

Es ist innerhalb der Europäischen Union Konsens, dass derzeit keine neuen Botschafter nach Minsk entsandt werden. Das Verfahren, stattdessen Chargés d´Affaires zu ernennen, hat sich mittlerweile etabliert. So wird es auch Deutschland halten.

Belarus könnte für Deutschland, die EU und die internationale Gemeinschaft ein hochgeschätzter Partner im Herzen Europas sein. Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung, internationale Gesundheitspolitik, die Wiederherstellung der von Russland zerstörten europäischen Sicherheit – jede einzelne eine zentrale Aufgabe, für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit unabdingbar ist. Leider sind wir von einer solchen Zusammenarbeit derzeit weit entfernt.

Deutschland und seine europäischen und transatlantischen Partner eint mit allen Belarussinnen und Belarussen das Interesse an einem freien, souveränen, demokratischen, prosperierenden und international respektierten Belarus. An einem Staat Belarus, der friedliche, konstruktive Beziehungen zu seinen Nachbarn pflegt.

Dieses Interesse wird Deutschland auch mit seiner diplomatischen Präsenz in Belarus weiterhin kraftvoll vertreten.

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