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Rede des deutschen Botschafters in Belarus Manfred Huterer aus Anlass des deutschen Nationalfeiertags
Sehr geehrte Damen und Herren,
der 3. Oktober ist ein besonderer Tag für uns Deutsche. Heute vor 32 Jahren vollzog sich die Wiedervereinigung Deutschlands, friedlich und im Einvernehmen mit unseren Nachbarn und Partnern. Jahrzehnte der Teilung durch Mauer und Stacheldraht waren überwunden.
Wir verdanken die Wiedervereinigung den Menschen in Ostdeutschland, die auf den Straßen von Leipzig, Rostock oder Ost-Berlin mutig und friedlich Freiheit, Würde und Selbstbestimmung einforderten. Die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands war aber auch das Werk von Staatsmännern in West und Ost. Sie wurde in einem Akt großartiger Staatskunst diplomatisch verhandelt und europäisch eingebettet. Wir Deutsche sind unseren internationalen Partnern dankbar dafür, dass sie uns damals das Vertrauen entgegenbrachten, dass wir unser Versprechen einhalten würden – das Versprechen, dass ein geeintes Deutschland auch ein friedliches sein würde.
Mit der Überwindung der deutschen Teilung wuchs auch der europäische Kontinent wieder zusammen. Litauer, Letten, Esten, Polen, Tschechen, Slowaken, Ungarn, Rumänen und Bulgaren erlangten ihre staatliche Unabhängigkeit und Freiheit wieder. Sie alle sind heute hochgeschätzte Partner Deutschlands in der Europäischer Union und der Nato.
Meine Damen und Herren,
Dieses Jahr dominieren jedoch am 3. Oktober anders als vor 30 Jahren nicht Zuversicht und Hoffnung, sondern Angst und Sorge. Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Russland hat in einem durch nichts zu rechtfertigenden, völkerrechtswidrigen, brutalen Angriffskrieg eines seiner Nachbarländer, die Ukraine, überfallen. Die Nachrichten und Bilder vom Leiden der Ukrainerinnen und Ukrainer, die uns täglich erreichen, erschüttern uns zutiefst. Mit ihrem illusionären, rückwärtsgewandten Imperialismus, der mit offenen Drohungen, Nuklearwaffen einzusetzen, einhergeht, bedroht die russische Führung die Sicherheit in Europa und weltweit.
Deutschland, seine Freunde und Bündnispartner setzen diesen Drohungen ihre vereinte Entschlossenheit und Solidarität entgegen. Es kann keine Sicherheit in Europa geben, wenn die Sicherheit und Unabhängigkeit der Ukraine bedroht sind. Deutschland steht mit seinen internationalen Partnern fest an der Seite der Ukraine.
Belarus liegt geographisch im Zentrum Europas. Von Minsk nach Kiew sind es gerade einmal gut sieben Stunden mit dem Auto. Schon daran lässt sich erkennen, welche wichtige Rolle Belarus für eine europäische Friedensordnung, ja für den Weltfrieden spielen könnte! Stattdessen hat sich die belarussische Führung leider in den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen den Nachbarn Ukraine verstrickt.
Meine Damen und Herren,
die Beziehungen zwischen Deutschland und Belarus – zwei Staaten im Herzen Europas – sind heute nicht da, wo sie sein könnten. Weniger diplomatisch formuliert: Sie sind leider an einem historischen Tiefpunkt. Uns schmerzt besonders, dass viele belarussische Organisationen, mit denen wir jahrelang einen fruchtbaren Austausch pflegten, liquidiert worden sind, dass das Goethe-Institut und der DAAD ihre Tätigkeit in Belarus einstellen mussten. Und als deutscher Botschafter bedauere ich es ganz besonders, dass zahlreiche meiner europäischen Kollegen Belarus verlassen mussten.
Viel zu viele unserer belarussischen Partnerinnen und Partnern können am heutigen Tag nicht mit uns feiern, weil sie zu Unrecht inhaftiert sind oder sich gezwungen sahen, ihre Heimat Belarus zu verlassen. Mehr als 1.300 Belarussinen und Belarussen sind aus politischen Gründen im Gefängnis, nur weil sie friedlich für ihre Rechte, für die Einhaltung universeller Werte eingetreten sind. Die Bundesregierung und die EU fordern die Freilassung aller politischen Gefangenen in Belarus. Nur ein Dialog zwischen Staatsmacht und Zivilgesellschaft, der in freie und faire Wahlen mündet, könnte einen Weg nach vorne weisen. Ein solcher Schritt würde auch die Souveränität von Belarus nach innen wie nach außen stärken.
Meine Damen und Herren,
Deutschland und seine europäischen und transatlantischen Partner eint mit allen Belarussinnen und Belarussen das Interesse an einem freien, souveränen, demokratischen, prosperierenden und international respektierten Belarus. An einem Staat, der friedliche, konstruktive Beziehungen zu seinen Nachbarn pflegt, einem Staat, der die Normen des Völkerrechts achtet. Belarus könnte für Deutschland, die EU und die internationale Gemeinschaft ein hochgeschätzter Partner im Herzen Europas sein. Das Streben nach Wiederherstellung der von Russland zerstörten europäischen Sicherheit, Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung, Gesundheitspolitik – all das sind Felder, die eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit erfordern. Leider sind wir von einer solchen Zusammenarbeit momentan weit entfernt.
Trotz dieser gegenwärtig bestehenden politischen Kluft sind sich Deutsche und Belarussen heute nahe, vielleicht so nahe wie nie zuvor in der Geschichte. Es gibt so viele deutsch-belarussische Freundschaften, grenzüberschreitende Familienbande und transnationale Projekte. Wir Deutsche sind den Belarussinnen und Belarussen überaus dankbar, dass sie uns nach den barbarischen Verbrechen, die Deutsche nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion an der belarussischen Bevölkerung begangen haben, die Hand zur Versöhnung gereicht haben. Das Andenken an die Opfer werden wir Deutsche stets ehren und uns des Geschenks der Versöhnung in großer Dankbarkeit erinnern.
Wichtig ist: Geschichte darf nicht zum Instrument staatlicher Politik, zum Anlass für neue Konflikte, zum Gegenstand wiederbelebter Ressentiments werden. Geschichte darf keine Waffe sein; vielmehr sollte uns das gemeinsame Erinnern einander näherbringen. Leider sind wir nach vielen Fortschritten, die wir auf dem Feld der historischen Aufarbeitung und gemeinsamer Geschichtsprojekte gemacht hatten, durch die Entwicklungen der jüngsten Zeit wieder zurückgeworfen worden.
Die Internationale Bildungs- und Begegnungsstätte (IBB) in Minsk ist Wiege und tragender Pfeiler der deutsch-belarussischen Beziehungen. Entstanden aus einer ganz persönlichen Begegnung – der Reise von drei Sozialpädagogen von Dortmund nach Belarus im Jahre 1986 –, ist die IBB heute das Fundament für dauerhafte Begegnung und Austausch von Deutschen und Belarussen. Die Geschichtswerkstatt „Leonid Lewin“ ist die maßgebliche und eine überaus erfolgreiche deutsch-belarussische Einrichtung für gemeinsame Erinnerungsarbeit. Als Ort der deutsch-belarussischen Begegnung sei auch das Kinderzentrum Nadeschda im Bezirk Vilejka genannt, das schon mehr als 100.000 Kindern mit besonderen Bedürfnissen Momente der Ruhe und Erholung ermöglicht hat.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde,
Wenn mich nach gut drei Jahren als deutscher Botschafter in Minsk und vielen Reisen durch das Land, von Grodno bis Gomel, eines die Hoffnung auf eine bessere Zukunft der deutsch-belarussischen Beziehungen und der Beziehungen von Belarus zum Rest Europas wahren lässt, dann sind es die großartigen, so offenen und herzlichen Menschen von Belarus, die ich und meine Frau hier kennenlernen durften. In den 30 Jahren meiner Laufbahn im Auswärtigen Amt haben wir viele und sehr unterschiedliche Länder und Kulturen kennengelernt. Nirgends haben wir uns so willkommen und wohl gefühlt wie hier, bei Ihnen, in Belarus.
Lassen Sie uns daher trotz der gegenwärtigen Krisen nicht verzagen. Lassen Sie uns aus den persönlichen Begegnungen Mut und Kraft schöpfen, auf eine Veränderung zum Guten hinzuwirken.
Lassen Sie uns für unser gemeinsames Ziel arbeiten: für eine friedliche Zukunft in Belarus, in Deutschland und auf unserem gemeinsamen europäischen Kontinent.