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Empfang der Deutschen Botschaft zum Tag der Deutschen Einheit am 3.10.2019. Rede von Botschafter Manfred Huterer
Sehr geehrter Herr Stellvertretender Außenminister,
Sehr geehrte Vertreter der Regierung der Republik Belarus,
Sehr geehrte Vertreter der Nationalversammlung der Republik Belarus,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des diplomatischen Corps,
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie herzlich zum Tag der Deutschen Einheit und freue mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind.
Am 3. Oktober 1990 vollzog sich die Wiedervereinigung Deutschlands – friedlich und in Einvernehmen mit unseren Nachbarn und Partnern. Damit endete eine vier Jahrzehnte währende Teilung unseres Landes durch Mauer und Stacheldraht.
Die Wiedervereinigung unseres Landes wurde durch den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 erst möglich gemacht. In wenigen Wochen begehen wir den 30. Jahrestag dieses historischen Ereignisses. An diesem Tag waren die Deutschen wohl das glücklichste Volk der Welt.
Diese friedliche Revolution war ein Werk von Menschen, die an sich und die Kraft der Freiheit und Selbstbestimmung glaubten.
Sicherlich haben viele von Ihnen noch die Bilder der Menschen aus Ost- und Westberlin, die damals in Live-Übertragung um die Welt gingen, vor Augen. In den Gesichtern der Menschen waren Erstaunen, Ungläubigkeit, Freude, Begeisterung und Hoffnung zu lesen.
Es war eine Zeit, als die Realität fast täglich die Phantasie überholte.
Damals, nach dem Ende des Kalten Krieges, gab es viele Hoffnungen, nicht nur auf ein Zusammenwachsen von Deutschland, sondern auch auf ein Europa ohne Trennlinien und Grenzen.
Heute, 30 Jahre danach, können wir feststellen, dass wir einiges erreicht haben auf dem Weg zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker auf dem europäischen Kontinent.
Aber leider mussten wir schon bald feststellen, dass der Weg steiniger ist, als wir uns gedacht haben. Und heute dominiert nicht Zuversicht, sondern Unsicherheit.
Wir sind Zeugen eines neuen Ringens der Großmächte um geostrategische Einflusszonen, von bewaffneten Konflikten – mit dem Krieg im Osten der Ukraine in unserer unmittelbaren Nachbarschaft –, der Gefahr eines neuen Wettrüstens, neuer Handelskriege, neuen Protektionismus, dramatischen Folgen des Klimawandels, aber auch der Auferstehung der Dämonen des Nationalismus. Neue Risse und Mauern tun sich auf, nicht nur zwischen Staaten, sondern auch innerhalb unserer Gesellschaften.
Immer öfter hört man den Satz: „Ich verstehe die Welt nicht mehr“.
In diesen Zeiten allgemeiner Verunsicherung brauchen wir mehr denn je feste und allgemeinverbindliche Regeln und einen stabilen Rahmen für die internationale Zusammenarbeit. Denn globale Probleme können nicht von einem Staat alleine gelöst werden.
Deswegen setzt sich Deutschland dafür ein, die multilaterale Zusammenarbeit zu fördern. Dafür brauchen Deutschland und die EU Partner, gerade auch in unserer östlichen Nachbarschaft.
Ich bin überzeugt, dass Belarus für Deutschland und die EU solch ein Partner ist.
Gerade aufgrund seiner Lage mitten in Europa, an der Schnittstelle zwischen Ost und West, ist Belarus ganz besonders auf multilaterale Bindungen und feste Regeln angewiesen bzw. kann von ihnen profitieren.
Und gerade deshalb kann Belarus eine wichtige Brücke zwischen Ost und West sein.
Wir teilen mit Belarus ein herausragendes gemeinsames Interesse an der Aufrechterhaltung von Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa.
Angesichts neuer Spannungen schätzen wir die konstruktive Haltung der belarussischen Regierung, die an Konfliktminderung, Deeskalation, Abrüstung und Vertrauensbildung in Europa orientiert ist, sehr.
Meine Damen und Herren,
eine funktionierende multilaterale Ordnung lebt von stabilen bilateralen Beziehungen.
Die deutsch-belarussischen Beziehungen haben in den vergangenen Jahren eine deutlich positive Entwicklung genommen.
Wir pflegen wieder einen substantiellen Dialog mit zahlreichen gegenseitigen Besuchen auf Ministeriumsebene und einem regen Austausch zwischen den Parlamentariern.
Höhepunkt war im vergangen Jahr der Besuch von Bundespräsident Steinmeier, dem ersten Besuch eines deutschen Staatsoberhaupts in Belarus. Von diesem Besuch sind sehr viele Impulse ausgegangen, wie z. B. die Einrichtung einer bilateralen Historikerkommission, die Ende Januar zum ersten Mal in Berlin tagen wird.
Einer der tragenden Pfeiler unserer Beziehungen ist der wirtschaftliche Austausch. Erfreulich ist, dass die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen an Dynamik gewonnen haben, dass der Außenhandel sich seinem Allzeithoch nähert und die Investitionen im letzten Jahr ein solches erreicht haben.
Vor wenigen Tagen haben wir hier in Minsk den 10. Tag der deutschen Wirtschaft begangen mit der Teilnahme von zwei belarussischen Ministern, einem deutschen Staatssekretär und einer Rekordzahl von Teilnehmern und angereisten Vertretern deutscher Unternehmen.
Meine Damen und Herren,
das, was Beziehungen zwischen Staaten eigentlich ausmacht, sind der kulturelle Austausch und die zahlreichen sozialen Initiativen, die Menschen zueinander bringen. Davon gibt es in den deutsch-belarussischen Beziehungen eine Vielzahl. Solche Initiativen und Austauschprogramme sind getragen vom Engagement und Idealismus hauptamtlicher und vieler ehrenamtlicher Mitarbeiter/innen.
Stellvertretend für Hunderte von Projekten zwischen Belarus und Deutschland möchte ich hier das Kindererholungszentrum „Nadeschda“ im Bezirk Vileijka nennen. Es ist vor 25 Jahren aus der Betroffenheit über die Folgen von Tschernobyl als belarussisch-deutsches Gemeinschaftsunternehmen entstanden.
Seit der Gründung des Erholungszentrums konnten sich über 110.000 Kinder aus den kontaminierten Gebieten oder Kinder und Jugendliche, die aufgrund anderer Umstände besonderer Aufmerksamkeit und Fürsorge bedürfen, in dem Zentrum erholen.
Dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Belarus heute so eng und vielfältig sind, ist das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen, vor allem aber der Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger von Belarus zur Versöhnung.
Angesichts dessen, was von Deutschen in Belarus an Verbrechen begangen wurde, kann man hier nur von einem Wunder der Versöhnung sprechen.
Deutschland bekennt sich uneingeschränkt zu seiner historischen Verantwortung. Diese tiefen Schatten gehören zu unseren Beziehungen genauso wie die hellen Seiten.
Nur wer sich ehrlich in die Augen sieht und sich der Vergangenheit stellt, wird eine gemeinsame neue Zukunft bauen können.
Nur wer miteinander spricht und Zusammenarbeit lebt, wird Vertrauen schaffen und verhindern, dass neue Mauern entstehen.
Lassen Sie uns daher den Weg der Versöhnung und des Vertrauens weiter gehen. Für eine friedliche Zukunft auf unserem gemeinsamen europäischen Kontinent.