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Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande an sieben Zeitzeugen der Geschichtswerkstatt in Minsk durch Botschafter Manfred Huterer am 4. März 2020

05.03.2020 - Bildergalerie

Rede anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande an sieben Zeitzeugen der Geschichtswerkstatt in Minsk durch Botschafter Manfred Huterer am 4. März 2020

Sehr geerter Herr Zhbanow,

sehr geehrte Exzellenzen,

sehr geehrter Direktor der Gedenkstätte „Chatyn“, Herr Selsky,

sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir eine große Ehre, Sie heute aus Anlass der Überreichung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Frau Fryda Reizman, Herrn Yauhen Khrol, Frau Aliaksandra Barysava, Herrn Barys Papou, Frau Raisa Semashko, Herrn Yakov Kravchinsky und Frau Zinaida Goryashko zu begrüßen.

In Anerkennung Ihres jahrelangen persönlichen Einsatzes als Zeitzeugen der Geschichtswerkstatt in Minsk hat Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier Ihnen am 7. Januar das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.

Frau Fryda Reizman, Herrn Yauhen Khrol, Frau Aliaksandra Barysava, Herrn Barys Papou, Frau Raisa Semashko, Herrn Yakov Kravchinsky und Frau Zinaida Goryashko haben Jugendlichen und Erwachsenen unermüdlich über ihre Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Terrorregime berichtet und ihre Erinnerungen an diese dunkle Zeit veröffentlicht. Damit haben sie einen unschätzbaren Beitrag dazu geleistet, dass die während des nationalsozialistischen Terrorregimes begangenen Verbrechen in Europa niemals vergessen werden.

Durch ihre bewegenden persönlichen Zeugnisse begreifen wir besser als durch bloße Zahlen, was an menschlicher Grausamkeit in der Zeit geschehen ist. Es ist schmerzhaft, sich das Leid der Ermordeten und der Überlebenden vor Augen zu führen – ihre Angst, ihre Verzweiflung, ihre zerstörten Hoffnungen, ihre Erinnerungen an für immer verlorene Verwandte, Freunde und Nachbarn.

Ich möchte Ihnen, verehrte Zeitzeugen, ganz herzlich für Ihren so wichtigen Beitrag für Erinnerung und Gedenken danken. Und ich bin froh, dass es der Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ gelungen ist, mit dem Erwerb der Geschichtswerkstatt in Minsk einen wichtigen Ort der Erinnerung und des Dialogs auf dem Gelände des ehemaligen Minsker Ghettos zu erhalten.

Wir Deutsche sind in vielfacher Hinsicht dazu aufgerufen, an die von unseren Landsleuten begangenen Verbrechen zu erinnern. Wir sind den Opfern verpflichtet. Und wir sind den Nachfahren der Völker, die unter dem Krieg und den systematisch geplanten Morden besonders gelitten haben, verpflichtet: So etwas darf nie wieder geschehen!

Die Bundesrepublik Deutschland bekennt sich uneingeschränkt zu ihrer historischen Schuld und Verantwortung. Das gemeinsame Gedenken, die gemeinsame Erinnerung und Versöhnung prägen die deutsche Außenpolitik und sind Teil unserer kollektiven Identität geworden.

So sagte Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Eröffnung des Gedenkstättenabschnitts Blagowschtschina am Vernichtungsort Malyi Trostenez am 29. Juni 2018: „Ich stehe vor Ihnen voll Scham und Trauer über das Leid, das Deutsche über Ihr Land gebracht haben.“ (Zitat Ende)

1.) Ich möchte nun Frau Fryda Reizman bitten, nach vorne zu treten.

Frau Reizman war als Kind im Minsker Ghetto interniert, bevor sie in die Minsker Kutusow-Brigade geschleust wurde. Seit 1993 leitet sie den Minsker Verein der ehmaligen Ghetto- und KZ-Häftlinge „Gilf“. Ihr Verein hat mehr als zehn Bücher zum Holocaust an den belarussischen Juden herausgegeben, so z. B. „Judenfrei!“ (Svobodno ot evreev!) oder „Wir erinnern uns! Unser Vermächtnis für die Welt: Erinnert euch!“ (My pomnim! Miru pomnit’ zaveščaem).

Frau Reizman nahm an Bildungstreffen mit Jugendlichen in Belarus, in Deutschland und anderen Ländern teil, organisierte Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer des Minsker Ghettos und führte belarussische und internationale Besuchergruppen über das Gelände des ehemaligen Minsker Ghettos.

2.) Nun möchte ich Herrn Yauhen Khrol bitten, nach vorne zu kommen.

Herr Khrol floh als Kind mit seinen Eltern zur Widerstandsbewegung in den Wald Naliboki, wurde dort gefasst und zusammen mit seiner Großmutter und seiner Schwester in das Konzentrationslager Mauthausen gebracht. Seit fast dreißig Jahren ist er Erster Stellvertretender Vorsitzender des Belarussischen Verbandes der ehemaligen minderjährigen Häftlinge und seit mehr als zehn Jahren Mitglied im Internationalen Mauthausen-Komitee.

Herr Khrol beteiligt sich aktiv an Zeitzeugengesprächen in Schulen und Hochschulen über Zwangsarbeit in der NS-Zeit und über den Zweiten Weltkrieg. Zudem hat er Dokumentarfilme über mehrere Haftstätten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gedreht, u. a. „Schicksal“ (Sudba) und „Requiem“ (Rekviem).

3.) Als Nächste möchte ich Frau Aliaksandra Barysava zu uns bitten.

Frau Barysava wurde als Kind mit ihren Eltern zur Zwangsarbeit in das Vernichtungslager Majdanek verschleppt, später in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Seit zwanzig Jahren ist Frau Barysava Vorsitzende der „Belarussischen Vereinigung der ehemaligen Häftlinge deutscher Konzentrationslager und Teilnehmer des antifaschistischen Widerstandes während des Großen Vaterländischen Krieges“.

Sie ist Mitherausgeberin des Buches „Todeslager Auschwitz: Lebendiges Zeugnis Belarus‘“ (lager smerti Osvencim: živye svidetel’stva Belarusi), arbeitet mit dem Maximilian-Kolbe-Werk zusammen, beteiligt sich an Zeitzeugengesprächen in Minsker Schulen und Hochschulen sowie an belarussisch-polnisch-deutschen Bildungsseminaren in Auschwitz und Majdanek. Sie koordiniert auch das Sammeln von Erinnerungen von KZ-Überlebenden.

4.) Und nun kommen wir zu Herrn Barys Papou. Bitte treten Sie vor!

Herr Papou gelangte mit 19 Jahren als sowjetischer Soldat vier Jahre in deutsche Kriegsgefangenschaft. Seit 2009 nimmt er aktiv an Zeitzeugengesprächen in belarussischen und deutschen Bildungseinrichtungen teil, u. a. im Rahmen des Begleitprogramms zur deutsch-belarussischen Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinne-rung“. Er gab mehrere Radio- und Fernsehinterviews und veröffentlichte seine Erinnerungen im Buch „Noch einmal über den Krieg“ (Eschtscho o vojne).

5.) Ich bitte nun Frau Ludmila Reutowitsch, die Tochter von Raisa Semashko, nach vorne.

Frau Semashko hat gemeinsam mit ihren Eltern zwei jüdische Mädchen, ihre Klassenkameradinnen und Freundinnen, während der Besatzungszeit bei sich zu Hause in Minsk aufgenommen und anschließend auf dem Land versteckt. Dafür wurde ihr – ebenso wie ihren Eltern zuvor – der Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ verliehen. Sie ist Ehrenmitglied der Jüdischen Wohltätigkeitsorganisation „Hesed-Rachamim“ in Minsk.

Ihre Erinnerungen hat sie im Sammelband „An Wendepunkten von Schicksalen“ (Na perekrjostkach sudeb) veröffentlicht. Engagiert nimmt sie an Zeitzeugengesprächen in der Geschichtswerkstatt, im Museum für die Geschichte belarussischer Juden in Minsk und an anderen Orten in Belarus teil.

6.) Und jetzt kommen wir zu Herrn Yakov Kravchinsky.

Herr Kravchinsky war als Kind im Minsker Ghetto interniert. Mit seiner Mutter floh er als 9-Jähriger aus dem Ghetto und wurde zur jüdischen Partisaneneinheit von Shalom Zorin geschleust. Er ist Mitglied der Belarussischen Vereinigung der jüdischen ehemaligen Ghetto- und KZ-Häftlinge.

Seit über zwanzig Jahren beteiligt sich Herr Kravchinsky an Bildungsaktivitäten für Jugendliche: Er nimmt an Gedenkstunden in Schulen teil, spricht mit internationalen Schüler- und Studentengruppen und führt Besuchergruppen durch das Gelände des ehemaligen Minsker Ghettos. Er wirkt aktiv an der Erneuerung jüdischen Lebens in Minsk mit und bietet u. a. den Kochkurs „Geheimtipps aus der jüdischen Küche“ für junge Menschen aus der jüdischen Gemeinde „Beit Simcha“ in seiner Wohnung an. Seine Erinnerungen hat er veröffentlicht.

7.) Zuletzt möchte ich Frau Zinaida Goryashko zu mir nach vorn bitten.

Als 12-Jährige wurde sie mit ihren Eltern zur Zwangsarbeit nach Siegen in Deutschland gebracht. Rund sechzig Jahre später besuchte sie das Werk, in dem sie 1943/44 Zwangsarbeit verrichten musste. Seit dieser Zeit hat Frau Goryachko mehrmals Deutschland besucht, um als Zeitzeugin mit Schülern zu sprechen. In Belarus trifft sie sich mit Freiwilligen, spricht zu Schülern und Studenten, beteiligt sich an Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Zweiten Weltkriegs und an der Erinnerungsarbeit der Geschichtswerkstatt. Ihre Erlebnisse hat sie in „Erinnerung des Herzens: Seiten der Erinnerung“ (Pamjat’ serdca: stranicy vospominanij) und „Ich stehe vor euch mit meiner Erinnerung“ (Ja pered vami s pamjat’ju moej) veröffentlicht.

Frau Goryachko war Mitglied des Komitees der Sowjetischen Friedensstiftung. Jetzt ist sie Mitglied des Vereins der ehemaligen Häftlinge des Faschismus „Dolja“ in Minsk.


Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande an sieben Zeitzeugen der Geschichtswerkstatt in Minsk durch Botschafter Manfred Huterer am 4. März 2020

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