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Grußwort aus Anlass des 20. Minsk Forums in Vilnius am 22. Juli 2022
Botschafter Manfred Huterer richtete zu Beginn des 20. Minsk Forums in Vilnius ein Grußwort in virtueller Form an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
"Sehr geehrte Frau Stähle,
sehr geehrte Frau Marinich,
sehr geehrter Herr Wöllenstein,
sehr geehrter Herr Lavrukhin,
sehr geehrte Damen und Herren,
von Minsk aus grüße ich Sie im Namen des Auswärtigen Amtes herzlich anlässlich der heutigen Veranstaltung des Minsk Forums in Vilnius. Danke an alle, die diese Veranstaltung organisiert haben. Danke auch für die Einladung an mich, heute zu Ihnen zu sprechen.
Leider erleben wir wirklich dunkle Zeiten in und um Belarus: Russland führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Minsk stellt für diesen russischen Angriffskrieg Territorium und Luftraum von Belarus zur Verfügung. Es unterstützt Russlands Krieg logistisch und rechtfertigt ihn propagandistisch. Im Inneren verschärfen belarussische Behörden die Repressionen: Mehr als 1200 Menschen sind heute zu Unrecht im Gefängnis. Hunderte Organisationen wurden zwangsweise aufgelöst. Fast alle nationalen unabhängigen Medien können nur noch im Exil arbeiten.
Die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und seinen europäischen und transatlantischen Partnern auf der einen und Belarus auf der anderen Seite haben sich noch einmal verschlechtert. Musste die Europäische Union Sanktionen gegen Minsk zunächst wegen der Anwendung von Gewalt im Inneren und der erzwungenen Landung einer Passagiermaschine einführen, so wurden jüngere Sanktionsrunden wegen der Unterstützung des belarussischen Staats für die völkerrechtswidrige russische Aggression gegen die Ukraine notwendig. Die belarussische Regierung hat ihrerseits Schritte gegen europäische Interessen unternommen.
Gemein ist der deutschen Regierung, den europäischen und transatlantischen Partnern Deutschlands sowie wohl allen Belarussinnen und Belarussen das verbindende Interesse an der Unabhängigkeit, Eigenstaatlichkeit und Souveränität des Staates Belarus. Minsk ist aufgerufen, seine Unterstützung für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu beenden und seine internationalen Verpflichtungen zu achten. Die politischen Gefangenen in Belarus müssen freikommen. Nur ein Dialog zwischen Staatsmacht und Zivilgesellschaft, der die Bedingungen für freie und faire Wahlen in Belarus schafft, kann einen Weg voran weisen. Und nur so könnten sich neue außenpolitische Chancen für ein unabhängiges, eigenstaatliches und souveränes Belarus eröffnen. Noch ist es dafür nicht zu spät.
In dunklen Zeiten ins Leben gerufen, steht das Minsk Forum für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für Belarus und für das Bemühen um Kontakte in schwierigen Zeiten. Zwischen Zivilgesellschaften, zwischen Politikerinnen und Politikern, zwischen Nachbarländern, zwischen Vertreterinnen und Vertretern aus Belarus selbst. Im Interesse eines unabhängigen, eigenstaatlichen und souveränen Belarus, geographisch im Herzen Europas gelegen, das – zuallererst natürlich wegen seiner großartigen Menschen – so riesiges Potenzial für eine gute Zukunft hat. Und das als Partner für die Zusammenarbeit in Europa und der Welt so hochgeschätzt sein könnte angesichts zahlreicher grenzüberschreitender Herausforderungen.
Zu denken ist da etwa an die Corona-Pandemie und ihre Folgen, die wohl nicht einfach verschwinden, sondern die Welt weiter beschäftigen werden. An die Bewältigung der Klimakrise, und an Themen der nachhaltigen Entwicklung. An Abrüstung und Vertrauensbildung im Herzen Europas. Angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine und Minsks Rolle für diesen Krieg sind wir davon leider meilenweit entfernt.
Wir Deutsche sind den Belarussinnen und Belarussen überaus dankbar, dass sie uns nach den barbarischen und unverzeihlichen Verbrechen, die Deutsche nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion an der belarussischen Bevölkerung begangen haben, die Hand zur Versöhnung gereicht haben. Politisch lautet aus meiner Sicht die Lehre aus diesem Wunder: Nie wieder dürfen Deutsche und Belarussen sich als Feinde begegnen!
Zugleich ist uns allen bewusst: Geschichte und Geschichtsschreibung dürfen nicht zum Instrument neuer Konflikte, zum Gegenstand neuer Ressentiments werden. Geschichte darf nicht zur Waffe werden, sondern das gemeinsame Erinnern muss uns einander näherbringen.
Das Minsk Forum hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kontakte zu halten, zu pflegen und wenn möglich neue zu etablieren. Sehr wichtig ist das heute insbesondere für Kontakte zwischen Belarussinnen in- und außerhalb von Belarus, damit die Erfahrungen und Pläne von Menschen in Vilnius, Warschau oder Berlin im Abgleich bleiben mit den Realitäten und Überlegungen von Menschen in Minsk, Brest oder Wizebsk.
Mit genau diesem so wichtigen Thema – belarussischem Leben im Exil – werden Sie sich in der heutigen Veranstaltung unter anderem beschäftigen. Dafür wünsche ich Ihnen gute und erkenntnisreiche Gespräche. Sie liegen im Interesse aller Belarussinnen und Belarussen.
Vielen Dank".